Ein bedrückender Trend

Autoimmunerkrankungen und Krebs gehören zu den großen Volkskrankheiten des 21. Jahrhunderts – und ihre Zahl steigt seit Jahrzehnten dramatisch an. Allein in Deutschland leben heute rund 7 Millionen Menschen mit einer diagnostizierten Autoimmunerkrankung. Krebserkrankungen betreffen jährlich fast eine halbe Million Menschen neu.

Doch warum nehmen diese Erkrankungen so stark zu? Neben genetischen Faktoren und Lebensstilfragen rücken immer mehr Forschende einen zentralen Verdächtigen in den Fokus: Umweltgifte.


Parallele Entwicklungen: Umweltgifte und Krankheitsprävalenz

Die Daten sind eindrücklich:

  • Der Index für Umweltgifte (Plastikproduktion, Pestizidverbrauch, industrielle Chemikalien) stieg von 1975 bis 2025 auf mehr als das Vierfache.

  • Die Prävalenz von Autoimmunerkrankungen kletterte im gleichen Zeitraum in Deutschland von 3 % auf knapp 9 %.

  • Auch die Krebsinzidenz nahm kontinuierlich zu – von 200 auf über 570 Fälle pro 100.000 Einwohner.

Beide Kurven – die Belastung durch Umweltgifte und die Krankheitszahlen – verlaufen nahezu parallel. Zwar gilt: Korrelation bedeutet nicht automatisch Kausalität. Doch angesichts der wissenschaftlichen Datenlage ist der Zusammenhang kaum zu leugnen.


Welche Substanzen im Verdacht stehen

Besonders stark mit Autoimmunität und Krebs assoziiert sind folgende Stoffgruppen:

  • Schwermetalle wie Quecksilber, Blei, Arsen, Chrom und Aluminium. Sie wirken immuntoxisch, können Autoantikörper stimulieren und stehen im Zusammenhang mit Multipler Sklerose, Lupus und Sklerodermie.

  • Pestizide und Biozide wie Organophosphate oder Pyrethroide. Studien zeigen, dass vor allem Landwirte und Menschen mit beruflicher Exposition ein erhöhtes Risiko für Autoimmunerkrankungen haben.

  • Weichmacher (Phthalate) und Bisphenol A (BPA), die als endokrine Disruptoren sowohl das Hormonsystem als auch die Immunregulation stören können.

  • Lösungsmittel wie Benzol, Styrol oder Xylole, die immuntoxisch wirken und seit langem als krebserregend gelten.

  • Industriechemikalien wie Acrylamid oder Perchlorat, die nachweislich entzündungsfördernde und immunmodulierende Effekte besitzen.

  • Klassische Karzinogene wie Asbest, Radon, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und Dieselabgase, die unbestritten mit Krebsarten wie Mesotheliom, Lungenkrebs oder Leukämien in Verbindung stehen.


Wie Schadstoffe im Körper wirken

Die Mechanismen sind vielfältig – und gut belegt:

  • DNA-Schäden und Mutationen: Zahlreiche Substanzen wie Benzol oder PAK verändern das Erbgut direkt (Iwasaki et al., 2023).

  • Immunmodulation: Chemikalien wie Schwermetalle oder Lösungsmittel verändern T-Zell-Subtypen, fördern Autoantikörperbildung und stören die Immunbarriere (NIEHS Expert Panel, 2012).

  • Epigenetische Veränderungen: Umweltgifte können Gene an- oder abschalten, ohne die DNA selbst zu verändern – was besonders relevant bei Autoimmunprozessen ist (Kharrazian, 2021).

  • Chronische Entzündung: Viele Substanzen wirken als stille „Brandbeschleuniger“ im Immunsystem. Inflammatorische Prozesse gelten sowohl als Treiber von Autoimmunität als auch als Katalysator für Krebs (Thompson et al., 2015).


Die wissenschaftlichen Belege

Die Forschungslage hat sich in den letzten Jahren verdichtet:

  • Kharrazian (2021) beschreibt detailliert, wie Schwermetalle, Dioxine, Pestizide oder BPA Autoimmunität über oxidativen Stress, Rezeptorbindung und epigenetische Veränderungen fördern können.

  • Das Expert Panel des National Institute of Environmental Health Sciences (2012) belegt, dass Umweltgifte über Aktivierung des angeborenen Immunsystems und T-Zell-Modulation Autoimmunität auslösen können.

  • Iwasaki et al. (2023) analysieren in einem Review Humanstudien zu Arsen, Benzol, PAK und Pestiziden – alle zeigen eine deutliche Risikoerhöhung für verschiedene Krebsarten.

  • Gatti et al. (2023) weisen nach, dass Regionen mit hoher Umweltverschmutzung eine signifikant höhere Krebssterblichkeit aufweisen.

  • Lagoa et al. (2022) und Ullah et al. (2024) erläutern molekulare Mechanismen, wie Schwermetalle und organische Schadstoffe Karzinogenese begünstigen.

Diese Studien zeigen klar: Umweltfaktoren sind keine Randerscheinung, sondern maßgebliche Mitverursacher.


Multifaktorielle Genese: Kein monokausales Modell

So deutlich die Zusammenhänge sind: Forschende betonen, dass Umweltschadstoffe selten allein verantwortlich sind. Vielmehr interagieren sie mit genetischer Prädisposition, Lebensstilfaktoren (z. B. Rauchen, Ernährung, Stress) und Infektionen. Doch die Exposition gegenüber Schadstoffen wirkt wie ein „Katalysator“, der eine vorhandene genetische Anfälligkeit erst zum Ausbruch bringt.


Fazit: Eine Aufgabe für Medizin und Gesellschaft

Die Parallelen zwischen steigender Umweltbelastung und wachsenden Krankheitszahlen sind signifikant. Autoimmun- und Krebserkrankungen sind daher mit Recht als Umwelterkrankungen zu verstehen – zumindest als solche, deren Ausbruch und Verlauf maßgeblich durch toxische Expositionen geprägt wird.

Die Konsequenz:

  • Gesundheitspolitisch braucht es strengere Regulierungen von Chemikalien und Schadstoffen.

  • Individuell sind Aufklärung, Prävention und Reduktion vermeidbarer Expositionen entscheidend.

  • Medizinisch müssen Umweltfaktoren stärker in Diagnostik und Therapie einbezogen werden.

Die Forschung zeigt unmissverständlich: Wer Umweltgifte ignoriert, versteht die Volkskrankheiten unserer Zeit nur zur Hälfte.